Meine Daten, deine Dokumente, meine Dokumente.

Wenn es um Datenschutz und Datenhoheit bzw. Dateneigentum geht, gehen die Diskussionen oft munter durcheinander. Für medizinische Dokumentation im Kontext der Patientenakten ist ein gemeinsames Verständnis über "mein" und "dein" aber wesentlich, um die Lösungen zu verstehen und nicht die berühmten Äpfel mit den berüchtigten Birnen zu vergleichen. Dabei ist es auch zusätzlich nicht förderlich, dass der Begriff Patientenakte unterschiedliche Dinge bezeichnet, je nachdem, unter welchem Aspekt man ihn betrachtet und verwendet. Dazu kommen unterschiedliche rechtliche Regelungen, die teilweise auch widerstrebend sind.

Was meint "Patientenakte"?

Nach § 630f BGB ist jeder Arzt zur Dokumentation seiner Behandlung in Form einer Patientenakte verpflichtet (in § 630f BGB noch egal, ob als Papier- oder elektronische Akte). Es handelt sich um die Akte des Arztes. Er führt diese, weil er es muss und weil es ihm in seiner Behandlungsführung hilft. Diese Patientenakte wird auch als Primärdokumentation des Arztes bezeichnet. Üblicherweise verwendet er hierfür sein Primärsystem / Praxisverwaltungssystem (PVS). Für ihn gelten dort Dokumentationspflichten bezüglich dessen, was mindestens aufgenommen werden muss, dazu Aufbewahrungs- sowie Löschpflichten.
Nach § 291 a SGB V hat jeder Versicherte ab 01.01.2021 das Recht, freiwillig eine elektronische Patientenakte (ePA) eröffnen zu dürfen. Seine Krankenkasse muss ihm die Möglichkeit dazu anbieten. Es handelt sich um die Akte des Versicherten. Er allein entscheidet, welche Dokumente darin aufgenommen werden, wie lange diese gespeichert bleiben, wann er welche Dokumente löscht und wem er die Dokumente in seiner Akte zugänglich machen möchte.

Zweimal "Patientenakte", zweimal ganz unterschiedliche Motivationen eine solche Akte zu führen, mit ganz unterschiedlichen Rechten und Pflichten.

Daten, Dokumente und Patientenakten

Untersucht ein Arzt einen Patienten, so erhebt er Daten über den Patienten. Gleiches passiert bei gerätediagnostischen Untersuchungen, z.B. bei der Erhebung von Laborwerten des Blutes. Die Daten die erhoben werden, werden dokumentiert, d.h. sie werden in der Regel in Form von Dokumenten erfasst, die einen bestimmten Sachverhalt inhaltlich beschreiben. Zum Beispiel umfasst ein Laborbefund als Dokument alle untersuchten Laborwerte aus einer bestimmten Blutuntersuchung.
Bei den Daten selbst handelt es sich um personenbezogene Daten des Patienten. Es greift also die DSGVO. Die Daten werden aber maschinell und/oder intellektuell durch den Arzt erhoben und in Dokumenten festgehalten. Die so erzeugten Dokumente gehören dem Arzt, enthalten aber Daten, an denen der Patient Rechte hat.

Ich finde hier den Vergleich mit Fotografien von Personen ganz hilfreich:
Jeder "Normalbürger" hat das Recht am eigenen Bild. Willigt er ein, dass ein Fotograf ein Foto von ihm machen darf, so erstellt der Fotograf ein Foto von ihm. Obgleich der Fotografierte das Recht am eigenen Bild hat, ist die Fotografie selbst als Leistung des Fotografen sein Eigentum. Der Fotograf kann der Person einen Abzug von diesem Foto verkaufen. Die Fotografie bleibt dennoch das Eigentum des Fotografen. Die Person kann den erworbenen Abzug selbst nutzen, soweit wie ihm die Nutzungsrechte hierzu durch den Fotografen eingeräumt wurden. Selbstverständlich kann der Fotograf der Person auch alle Nutzungsrechte am Foto abtreten - er muss es aber nicht.

Bei der ärztlichen Dokumentation verhält es sich ähnlich: Die Dokumente, die der Arzt erzeugt, sind sein Eigentum, obgleich darin Daten des Patienten enthalten sind. Anders als bei Fotografen hat der Patient gegenüber Ärzten aber einen rechtlichen Anspruch darauf, sich KOPIEN der ärztlichen Dokumente aushändigen zu lassen. Der Arzt erzeugt also auch einen "Abzug" seiner Dokumente. Hat der Versicherte die Dokumentkopien entgegengenommen, befinden sich diese Kopien fortan im Eigentum des Versicherten! Die Kopien sind dann seine Dokumente. Er kann anschließend mit diesen Kopien tun, was er möchte. Unabhängig davon, was der Patient mit seinen Kopien anstellt, hat der Arzt immer noch die Originale seiner von ihm erzeugten Dokumente.

Dies trifft auch auf die ärztliche Patientenakte im Verhältnis zur ePA des Versicherten zu:

Ein Arzt A befundet einen Patienten, erhebt dessen Daten und erstellt ein Dokument über den Patienten.
Dieses Dokument befindet sich im Eigentum des Arztes A und wird in der ärztlichen Patientenakte - der Primärdokumentation des Arztes A - gespeichert. Dies mindestens so lange, wie es die Aufbewahrungspflichten fordern und maximal so lange, bis die Löschpflichten greifen. Der Arzt A muss jederzeit darauf zugreifen können.
Der Versicherte kann nun eine Kopie dieses Dokuments vom Arzt A anfordern. Und er kann sich diese Kopie durch den Arzt A in seine eigene ePA übertragen lassen (dazu muss er dem Arzt A Zugriffsrechte auf seine ePA erteilen). Das Dokument in der ePA - die Kopie - befindet sich nun im Eigentum des Versicherten. Er kann es ansehen, löschen und mit jeder Person teilen - so auch mit anderen Ärzten. Und er kann das Dokument so lange behalten, wie er möchte. Auch ein Leben lang - und länger, wenn er es vererben möchte.
Ferner kann er beliebig viele eigene Dokumente in seiner ePA speichern.
Teilt ein Versicherter das obige Dokument mit einem anderen Arzt B, bedeutet das, dass sich dieser Arzt B (nach der Berechtigung durch den Versicherten) selbst eine Kopie (der Kopie) des Dokuments des Versicherten aus der ePA des Versicherten zieht. Der Arzt B wird diese Kopie wiederum in seinem Primärsystem abspeichern. Das so bezogene Dokument gilt als potentiell behandlungsrelevant und unterliegt somit in der Regel selbst der Dokumentationspflicht des Arztes B in dessen Patientenakte. Löscht ein Patient später das Dokument aus seiner ePA, so schlägt das Löschen nicht auf die Kopie des Dokuments durch, welches sich mittlerweile in der Primärdokumentation des Arztes B befindet. Für die dortige Kopie trägt der Arzt B selbst die Aufbewahrungs- und Löschpflichten.

Was das heißt und was daraus folgt

In der ePA des Versicherten liegen ausschließlich seine Dokumente, auch wenn diese Dokumente zuvor vielleicht von einem Arzt erstellt wurden. Alles in der ePA ist Eigentum des Versicherten und unterliegt ausschließlich seiner Verfügungsgewalt.

Die Dokumente in der ärztlichen Patientenakte sind die Dokumente des Arztes und unterliegen gesetzlichen Speicher- und Löschpflichten. Alles in der Primärdokumentation ist das Eigentum des Arztes. Auf Grund der Tatsache, dass die dortigen Dokumente Daten des Patienten enthalten, gelten für den Versicherten Rechte gemäß DSGVO. Durchsetzen kann er die Rechte gegenüber dem Arzt aber nur, wenn nicht höherrangige Pflichten des Arztes dagegensprechen.

Folglich muss die ePA des Versicherten also über einen eigenen Speicher verfügen. Ein einfacher Verweis auf Dokumente, die beim Arzt gespeichert sind, reicht nicht aus. Denn so könnte der Versicherte nicht hinreichend über seine Dokumente verfügen. Weder kann er Dokumente dort einfach löschen (Aufbewahrungspflichten des Arztes), noch kann er die Dokumente so lange dort behalten, wie er selbst das möchte (Löschpflichten des Arztes) und er kann dort nicht beliebige eigene Dokumente speichern, da das Primärsystem des Arztes kein Speicherdienst für beliebige fremde Dokumente darstellt und der Arzt kein Speicherprovider ist.
(Dies sind auch die Hauptargumente gegen eine ePA mit dezentraler Speicherung beim Arzt)

Wenn also über "Daten" des Patienten gesprochen wird, muss man aufpassen und präzisieren, ob man wirklich die Daten selbst meint (also z.B. den Blutwert XY) oder das Dokument mit den darin enthaltenen Daten (also z.B. den Laborbefund). Und man muss präzisieren, ob im aktuellen Kontext von dem Dokumente im Eigentum des Arztes (in dessen Primärsystem) oder dem Dokument im Eigentum des Versicherten (in dessen ePA) gesprochen wird. In allen Fällen sind es mitunter genau die gleichen Daten und Dokumente - aber mit ganz unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen dazu.

Sind Juristen vor Ort?
Dann gerne etwaige Schärfungs- und/oder Korrekturvorschläge an mich!

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